Tuisto war laut Tacitus der göttliche Stammvater der Germanen.
Der Name Tuisto ist lediglich in Tacitus’ Werk Germania bezeugt:
Die Handschriften zur Germania bieten eine große Schreibungsvielfalt des Namens; als Hauptvarianten sind Tuistonem und Tuisconem auszumachen. Eine Entscheidung zwischen den beiden Namensformen ist weder von der Überlieferung noch von der Etymologie her möglich. Beide können auf ein Element urgermanisch *twis- „zwei-“ zurückgeführt werden. Bei Tuisconem läge eine Weiterbildung mit dem Suffix urgermanisch *-ka- (urgermanisch *twis-ka- „zweifach“, fortgesetzt in althochdeutsch zwisc, mittelhochdeutsch zwisch, angelsächsisch twisc „zweifach“), bei Tuistonem dagegen eine Weiterbildung mit dem Suffix urgermanisch *-ta- (urgermanisch *twis-ta- „zweiteilig“, fortgesetzt in neuhochdeutsch Zwist, altenglisch tvist „Gabel“, altisländisch tvistr „zweigeteilt“, altisländisch tvistra „trennen“) vor. Wie die Namensform auch anzusetzen ist, in beiden Fällen ist der Name wohl als Zwitter zu verstehen. Der zweigeschlechtliche Tuisto ist ein aus der Erde geborener Gott, wobei man vermutet, dass die Germanen sich diese als Mutter Erde vorstellten.
Zweigeschlechtliche Urwesen kommen in der mythologischen Vorstellung häufiger vor. Eine Parallele findet sich etwa in der altnordischen Mythologie in Gestalt des Urriesen Ymir.
Tuisto ist sprachlich und bezogen auf seine Funktion eng verwandt mit Tvashtri, dem androgynen altvedischen Schöpfergott.
Neuzeitliche Rezeption
Mit der Wiederentdeckung der Germania im 16. Jahrhundert wurde auch Tuisto, ab jetzt mit vielen Schreibvarianten Thuiskon genannt, wiederentdeckt. Er fungierte fortan als Stammvater der deutschen Nation und wurde als solcher in unzähligen Werken zeitgenössischer Schriftsteller und Dichter verewigt. Im 16. Jahrhundert waren die Autoren noch darum bemüht, ihn in einen christlichen Kontext einzubetten und als Enkel oder Urenkel Noahs darzustellen. Diese Rezeption findet sich unter anderem bei folgenden Autoren:
- Burkhard Waldis erwähnt ihn in seinem Werk Ursprung und Herkommen der zwölf ersten alten Könige und Fürsten Deutscher Nation aus dem Jahre 1543.
- In Johannes Aventinus’ Bairischer Chronik (1554) werden, wie bei Waldis, neben „Tuiscon, aller Deudschen vatter“, eine ganze Reihe fiktiver Figuren zu einem Nationalmythos zusammengefügt.
- Der Historiker Matthias Quad greift diesen Mythos in seiner Memorabilia mundi ebenfalls auf:
- Bei Elias Schedius und Sigmund von Birken findet man Ausläufer dieses Mythos noch im 17. Jahrhundert. In Birkens Sächsischem Helden-Saal (1677) heißt es: „So ist dann / dieser Ascenas / ein Ertz-Vater der Teutschen gewesen / welche auch von den Ebreern / Aschenazim genennet werden.“
- Daniel Casper von Lohenstein lässt seine Barden im ersten Buch des ersten Teils seines Romans Großmüthiger Feldherr Arminius singen:
Im 18. Jahrhundert löste sich Thuiskon vom christlichen Kontext und wird unter anderem von folgenden Autoren erwähnt:
- In Anton von Kleins und Ignaz Holzbauers Oper Günther von Schwarzburg ruft der Titelheld im elften Auftritt des ersten Aktes seinem Heer zu:
- Friedrich Gottlieb Klopstock verfasste 1764 die Ode Thuiskon, erwähnt ihn aber auch in anderen Werken.
- Joseph Martin Kraus erwähnt ihn in seinem Lied „Ich bin ein deutscher Jüngling“, einer Replik auf Klopstocks Vaterlandslied: „Wer nicht stammt von Thuiskon, der sehe nach dem Mädchen nicht.“
Siehe auch
- Germanische Schöpfungsgeschichte
- Tyr
Literatur
- Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte. Band II: Die Götter – Vorstellungen über den Kosmos. Der Untergang des Heidentums. 3. Auflage, Berlin 1970, S. 364.
- Ilse Haari-Oberg: Die Erfindung von Geschichte in der Schweizer Chronistik. An den Beispielen der Trierer Gründungssage und der „Germania“ des Tacitus im 16. und 17. Jahrhundert. Schwabe Verlag, Basel 2019, ISBN 978-3-7965-3920-6 (Rezension von Klaus Graf)
Einzelnachweise




